DER HEILIGE VITUS

Der Anleiter zu neuer Lebendigkeit

Der hl. Knabe Veit oder Vitus wurde vor allem im 13. und 14. Jahrhundert verehrt. 1355 wurden seine Gebeine nach Prag gebracht und darüber der berühmte Veitsdom erbaut. Der hl. Vitus wird in vielen Nöten angerufen, so vor allem beim sog. Veitstanz, einer Art Epilepsie, bei Tollwut, Schlangenbiß, Aufregung, Bettnässen, Feuersgefahr und bei Unwetter. Dargestellt wird er mit einem Kessel siedenden Pechs, in dem er steht. Löwen sind zu seinen Füßen und er führt einen Hund an der Leine. Manchmal hat er auch ein Buch in seiner Hand, auf dem ein Hahn sitzt. Der Hahn ist ein Symbol der Wachsamkeit. In Estenfeld fehlen der Vitusfigur diese Attribute. Er ist in einem vornehmen Hermelinmantel dargestellt und einem Barett auf dem Kopf. In der Hand hält er einen Krug mit Pech. Vitus heißt der Lebendige, der voller Leben ist. Daher gilt er auch als Patron der Jugend.

Er wurde um das Jähr 304 gemartert. Sein Fest wird am 15. Juni gefeiert.

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Der Legende nach stammt Vitus aus Sizilien und war der Sohn heidnischer Eltern. Aber von seiner Amme wurde er christlich erzogen. Als der Vater davon erfuhr, wollte er ihn von seinem Glauben abbringen. Doch es gelang ihm nicht. Da übergab er ihn dem Vogt Valerian, der ihn schlagen sollte. Doch als dessen Knechte ihn schlagen wollten, wurden ihre Arme gelähmt. Vitus heilte sie wieder durch sein Gebet. Man sperrte ihn in ein Zimmer. Als sein Vater ihn durch einen Spalt beobachten wollte, wurde er geblendet vom Glanz eines hellen Lichtes, das ihn umgab. Er wurde blind von diesem Anblick. Aber dennoch versuchte er, den Knaben zu töten. Doch ein Engel führte Vitus nach Lukanien und zwar nach Alectorius locus (= Hahnenort). Dort wurde er von einem Adler mit Brot versorgt. Er predigte den Leuten von Christus und wirkte viele Wunder. Als der Sohn des Kaisers in Rom von Besessenheit gequält wurde, hörte der Kaiser von dem wunderwirkenden Knaben und ließ ihn zu sich kommen. Vitus legte dem Besessenen die Hände auf und im gleichen Augenblick führ der böse Geist aus. Der Kaiser verlangte nun von dem Knaben, er solle seinem Glauben abschwören und die Götter anbeten. Als er sich weigerte, wurde er ins Gefängnis geworfen. Doch in der Nacht fielen die Ketten von ihm ab und helles Licht umleuchtete ihn. Voller Wut ließ ihn der Kaiser in einen Kessel mit siedendem Pech werfen. Aber wohlbehalten stieg Vitus aus dem Kessel heraus. Er wurde nun den Löwen vorgeworfen. Aber die leckten friedlich seine Füße. Schließlich wurde er auf die Folter gespannt. Da gab es ein furchtbares Unwetter und die Tempel der Götter fielen in Stücke. Der Kaiser floh und rief: "Weh mir, ein Kind hat mich überwunden!" (Melchers 369) Ein Engel führte Vitus ans Ufer eines lieblichen Flusses. Dort kehrte seine Seele heim zu Gott.

Soweit die Legende. Viele Motive sind ähnlich wie bei ändern Nothelfern. Weder Menschen, noch Tiere, noch siedendes Pech kann Vitus schaden. Von Vitus geht etwas aus, das stärker ist als alles Feindliche, das auf ihn einströmt. Und es geht ein Lichtglanz von ihm aus, der seinen Vater blendet und die Häscher staunen lässt. Das göttliche Licht, das ihn umstrahlt, durchdringt selbst die äußerste Finsternis des Kerkers. So wird Vitus zum Bild eines Menschen, der ganz und gar von Gottes Licht und Gottes Liebe durchdrungen ist und so eine heilende und zugleich klärende Ausstrahlung hat auf die Menschen. In seiner Nähe können sich die bösen Geister nicht verstecken. Da werden sie ans Tageslicht gezerrt und müssen vor der Klarheit des Heiligen weichen. So ist es verständlich, dass Vitus bei Besessenheit angerufen wird.

Auf den ersten Blick scheint Vitus eine Verdoppelung des hl. Cyriakus zu sein, der ja auch bei Besessenheit um Hilfe angefleht wird. Bei Cyriakus ist es die Tochter des Kaisers, bei Vitus der Sohn des Kaisers, der von Besessenheit befreit wird. Die Tochter wird von einem väterlichen Menschen geheilt, von einem, der dem Herrn gehört und keinem Menschen (=Cyriakos). Der Sohn des Kaisers wird von einem Knaben geheilt, von Vitus, der den Namen des Lebens trägt. Wer in sich Leben trägt, der kann auch ändern Leben vermitteln. Besessenheit wird hier als Ersatz von Leben gesehen. Das entspricht den Erkenntnissen heutiger Psychologie. Viele sind besetzt von Zwängen, um dem Leben auszuweichen. Der Zwang steht oft für verdrängte Aggression oder verdrängte Sexualität. Anstatt den Zwang frontal zu bekämpfen, ist es daher sinnvoller, den Zwang zu befragen, welchen Sinn er hat, wofür er steht, was er vermeiden möchte. Dafür steht das helle Licht, das Vitus umgibt. In diesem Licht kann sich niemand mehr hinter seinen Zwängen verstecken.

Da muss er Farbe bekennen, welcher Emotion, welchem Trieb, welcher Situation er ausweichen möchte, wovor er letztlich Angst hat und was in ihm eigentlich zum Leben kommen möchte. Der Zwang als Ersatz für ungelebtes Leben kann so zu einer Einladung werden, das Leben neu zu wagen. Vitus heißt ja "Leben". Er will uns dazu ermutigen, wirklich zu leben, der Spur des Lebens in uns zu trauen.

In der geistlichen Begleitung machen wir oft die Erfahrung, dass die Menschen, die zwanghafte Formen der Frömmigkeit praktizieren, damit dem Leben aus dem Weg gehen möchten. Sie haben Angst vor dem Leben und so gehen sie den geistlichen Weg, nicht um "das ewige Leben zu gewinnen", sondern um Leben zu vermeiden. Geistliche Begleitung heißt für uns, der Spur der je größeren Lebendigkeit zu folgen.

Dort, wo einer zum Leben kommt, wo er aufblüht, wo er in seinem Herzen tief angerührt wird, dort findet er auch Gott, dort wirkt Gott an ihm, dort will Gott ihn zur Blüte bringen, dort will Gott ihn zum Leben und in die Freiheit führen, die ein wesentliches Kriterium für das göttliche Leben ist.

Die Legende des Vitus will uns zeigen, wie wir wahrhaft freie Menschen werden können. Vitus hat keine Angst vor dem Gefängnis, vor den Ketten, die ihm die Henker umlegen, vor grausamen Foltern, vor siedendem Pech und vor wilden Tieren. Er weiß sich von Gott getragen und geschützt. Weder die Verletzungen, die man ihm von außen zufügt, noch das Feuer der Leidenschaft, noch die Aggressionen, die in den Löwen dargestellt sind, können ihn in seiner inneren Freiheit einschränken. Vitus ist ein Knabe. Er hat seine Freiheit nicht durch lange Kämpfe errungen, sondern er ist frei, weil er ganz und gar auf Gott vertraut. Freiheit muss nicht mühsam erworben werden. Wir sind frei, wenn wir unser Vertrauen auf Gott setzen, wenn wir in Gott gründen. In dieser Freiheit können wir unversehrt aus dem Feuer unserer Leidenschaften steigen. Vor dieser Freiheit werden sich die wilden Tiere unserer Triebe friedlich neigen. Vitus ist der jugendliche Heilige. Er ist Bild des lebensfrohen und lebendigen Menschen. Heute ist die Leblosigkeit vieler Menschen erschreckend.

Sie sind erstarrt in ihren Zwängen und Gewohnheiten, erstarrt in äußerer Hektik und Leere. Vitus ist Bild des sich erneuernden Lebens, eines Lebens, das nicht tot zu kriegen ist, weil es aus der göttlichen Quelle gespeist wird. Er ist das Gegenbild des erstarrten Lebens, wie es sich in jeder Besessenheit ausdrückt.

Das Volk hat Vitus angerufen bei Aufregung und Bettnässen. Es war offensichtlich fasziniert von der Klarheit und inneren Ruhe des heiligen Knaben. Die Henker konnten ihn noch so schmerzlich foltern. Vitus blieb innerlich ruhig und gelassen. Alle Unruhe blieb außen. Ja, bei seinen Foltern entstand ein Erdbeben und die Tempel der Götter fielen in sich zusammen. Die Unruhe erfasste also die ganze Erde, während sein Herz davon unberührt blieb. Das ist eine Sehnsucht, die wir alle kennen. Wir lassen uns so leicht aus der Ruhe bringen. Wir sorgen uns um vieles. Wir sind aufgeregt, ob wir die Erwartungen der ändern erfüllen können. Wir sind voller Aufregung, wenn das Leben außen nicht so läuft, wie wir es erwarten, wenn jemand zu spät kommt, wenn uns ein Missgeschick geschieht. Wir werden von außen bestimmt. Vitus ist das Bild eines Menschen, der von innen heraus lebt und deshalb in heiterer und gelassener Ruhe bleibt, auch wenn alles um ihn hemm aufgewühlt und durcheinander geworfen wird.

Bettnässen ist nicht nur ein Problem von Kindern. Es gibt heute viele Menschen, die Probleme mit dem Wasserlassen haben. Die einen haben eine Reizblase, die ändern spüren Schmerzen beim Wasserlassen, die andern leiden an einer Harninkontinenz. Die Psychosomatik hat die psychischen Ursachen solcher Störungen erforscht. Oft können solche Menschen mit Spannungen nicht gut umgehen. Sie müssen alles sofort loswerden, was sie beschäftigt Die Ausscheidungsorgane sind ja von Kind an mit intensiven Gefühlen wie Stolz, Scham, Lust und Minderwertigkeit verbunden und daher anfällig für neurotische Phantasien. Die Psychologen sehen bei Störungen im Wasserlassen folgende Ursachen: "Abwehr von Trauer und Enttäuschung, Hingabestörung mit der Angst vor Selbstaufgabe... Selbstwertstörung... narzisstische Beziehungskonflikte mit Verletzung der Selbstgrenzen, Nähe Distanz-Problematik.. Selbstunsicherheit, Kontaktscheu" (Jores 316).

Wenn der hl. Vitus bei Harnproblemen angerufen wird, so deshalb, weil dieser Knabe offensichtlich mit sich selbst im Einklang war, weil er sich nicht von außen hat bestimmen lassen und weil er sich von den Spannungen außen nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Quelle: Anselm Grün
Die 14 Nothelfer als Bilder einer christlichen Therapie
VIER-TÜRME-VERLAG MÜNSTERSCHWARZACH
ISBN 3-87868-596-3


Inhalt

hl. 14 Nothelfer

Stift Ardagger