DER HEILIGE EUSTACHIUS

Der Berater bei Beziehungskonflikten

Eustachius heißt im Griechischen ,der "Ährenreiche. Fruchtbare". Er war Feldherr und wird daher immer als Krieger in Rüstung und Mantel mit Hut dargestellt, manchmal auch als Jäger. Er trägt in einer Hand einen Hirschkopf mit einem Kreuz zwischen dem Geweih Jörg Riemenschneider lässt ihn den Hirschkopf liebevoll streicheln. Sein Gesicht strahlt inneren Frieden aus. Man sieht ihm an, dass er viel durchgemacht hat. In der Gestalt des Eustachius mag der Sohn des großen Tilman Riemenschneider die eigene tragische Familiensituation wiedergefunden haben, in die die Familie durch die Inhaftierung und Folterung des Vaters im Jahre 1525 geraten ist. Das Relief entstammt vermutlich dieser Zeit der Wirren. Eustachius starb unter Kaiser Hadrian den Martertod um das Jahr 118. Sein Fest wird am 20. Septembergefeiert. Er gilt als der Patron der Jäger. Und er wird bei traurigen Familienschicksalen und anderen verzweifelten Situationen angerufen. Das erklärt sich aus den Legenden, die sich um die Gestalt des Eustachius ranken.

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Die Legende erzählt, dass Eustachius ursprünglich Placidus hieß und ein tapferer Heerführer des römischen Kaisers Trajan war. Er war bei den Soldaten sehr beliebt, weil er gerecht war und von seinen vielen Gütern auch an die Armen austeilte. "Während eines Jagens geschah es ihm, dass er auf der Verfolgung eines gewaltigen Hirsches von den anderen Jägern abkam.

So oft er auch ansetzte, das Wild zu erlegen, immer wieder entkam es ihm, bis es in einer Lichtung des Waldes anhielt, mit einem Sprung einen Felsen erklomm und sich dem Jagenden zuwendete. Placidus legte den Pfeil auf, spannte den Bogen und wollte das tödliche Geschoss absenden, da gewahrte er zwischen dem Geweih des Hirsches ein Kruzifix, das funkelte hell im Widerschein der Sonne. Während er voll Staunen zögerte, hörte er eine Stimme, die sprach zu ihm: ,Placidus, warum verfolgst du mich? Ich bin Christus, dem du unwissend bereits dienst. Darum habe ich dich erjagt in dieses Hirsches Gestalt, auf dass du dich taufen lassest auf meinen Namen.'" (Melchers 601)

Placidus lässt sich, seine Frau und seine beiden Kinder, taufen. In der Taufe erhält er den Namen Eustachius. Christus offenbart ihm, dass er um seines Namens willen viel zu erleiden habe. Aber er solle tapfer bleiben im Leiden, so wie er es vorher in vielen Schlachten war. Eustachius erleidet ein ähnliches Schicksal wie Hiob. Unter seiner Herde brach eine Seuche aus. Hagelschlag verwüstete die Felder. Von seinen Angestellten wurden viele durch Fieber hinweggerafft überfallen und angezündet. Bettelarm wanderte nun Eustachius aus. Mit dem Schiff fuhr er nach Ägypten. Doch der Schiffsherr forderte als Lohn seine Frau. Gewaltsam ließ er Eustachius mit seinen beiden Söhnen an Land schaffen. An einem Fluss wurden ihm die beiden Kinder von wilden Tieren geraubt, von einem Wolf und einem Löwen. Als Hirten den Löwen mit dem kleinen Kind im Maul sahen, jagten sie ihn. Da ließ er es aus Angst fallen.

Den Wolf verfolgten Bauern und entrissen ihm das Kind und zogen es auf. Doch Eustachius bekam das alles nicht mit. Er stand im Fluss und haderte mit Gott, dass er ihm zuviel aufgeladen habe. In einem Dorf nahm er Arbeit an und diente als Knecht 15 Jahre lang. Als das römische Reich von zahlreichen Feinden bedrängt wurde, erinnerte man sich an den einstigen Hauptmann Placidus. Man suchte nach ihm. Schließlich erkannte ihn ein ehemaliger Soldat an seiner Narbe. Er wurde wieder in seine Ämter eingesetzt und zog an der Spitze seiner Soldaten in den Krieg und besiegte den Feind.

Seine beiden Söhne waren inzwischen erwachsen und dienten im Heer. Zufällig wurden sie bei einer armen Frau einquartiert. Sie erzählten sich ihre Lebensgeschichte. Und so erkannten sie in der armen Frau ihre Mutter. Als die Frau zum Feldhauptmann eilte, um ihn für ihre beiden Söhne zu bitten, da erkannte sie in ihm ihren Gemahl. Gemeinsam dankten sie Gott, dass er sie durch alles Leiden hindurch wieder zusammen geführt hat. Mit allen Ehren wurde nun der erfolgreiche Feldherr in Rom empfangen.

Doch als er sich weigerte, den Göttern zu opfern, da wurde Kaiser Hadrian, der inzwischen auf Trajan gefolgt war, wütend und ließ ihn mit seiner ganzen Familie den wilden Tieren in der Arena vorwerfen. Doch die Löwen taten ihnen nichts, sondern neigten in Ehrfurcht ihre Köpfe vor Eustachius. So wurden alle vier in einem eisernen Ofen, der wie ein Stier geformt war, verbrannt. Doch ihre Leichen blieben unversehrt und wurden an einem abgelegenen Ort begraben.

Bei Eustachius geht es nicht um die Wunden einer Krankheit, sondern um die Verletzungen aus der Lebensgeschichte. Es gibt viele ähnliche Familienschicksale, bei denen die Menschen alle Hoffnung verlieren könnten. Wir brauchen nur an die Kriegswirren zu denken, die viele Familien auseinanderreißen, die den Kindern die Väter nehmen und sie zwingen, allein umherzuirren. Verkehrsunfälle können Familien zerstören. Ein junger Mann hat seinen Vater verloren und seine Mutter wurde durch einen schweren Verkehrsunfall gelähmt. So ist er allein auf sich gestellt und muss noch für die Mutter sorgen, anstatt bei ihr Geborgenheit und Schutz erfahren zu können. Eine Frau wurde unehelich geboren und von ihrer Mutter immer als Schande für sie angesehen. Sie hat nie erfahren, dass sie in dieser Welt willkommen ist. In solchen und ähnlichen Situationen hat das Volk zu Eustachius gebetet. Sein Schicksal war ihm Zeichen der Hoffnung, dass Gott uns in keinem noch so großen Unglück allein lässt. dass Gott auch hoffnungslose Verwicklungen wieder zum Heil wenden kann.

Äußere Schicksale können uns innerlich zerreißen. Es gibt aber auch die nach außen hin oft unscheinbaren Verletzungen aus der Lebensgeschichte. Da wurde eine Frau von nahen Verwandten sexuell missbraucht. Da war der Vater Alkoholiker und hat die ganze Familie tyrannisiert und ihr mit seiner Unberechenbarkeit Angst eingeflößt. Da sind die subtilen Entwertungen, unter denen viele Kinder leiden. Da sind die Verletzungen, wenn Kinder ohne Vater aufwachsen, oder wenn sie an Verwandte abgeschoben werden. Die Legende des hl. Euchstachius will uns das Vertrauen schenken, dass wir uns mit all unseren Wunden an Gott wenden können, dass wir in Gott Hilfe finden können. Das Volk hat im Bild des hl. Eustachius darauf vertraut, dass Gott sich auch um unsere scheinbar hoffnungslosen Schicksale kümmert und dass er alles zum Guten wenden kann und wird.

Eustachius wird auch generell bei Eheproblemen angerufen. Und die sind heute häufiger als je zuvor. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Ehe gelingt. In vielen Seelsorgsgesprächen stehen die Beziehungsprobleme im Mittelpunkt. Offensichtlich wird es heute immer schwieriger, eine Beziehung auf Dauer in fairer und befruchtender Weise zu leben. Wir sind immer unfähiger, uns durch die Konflikte, die notwendigerweise in jeder Beziehung auftreten, verwandeln zu lassen. Zu schnell weichen wir dem schmerzlichen Wandlungsprozess aus und suchen uns eine neue Beziehung. Oder aber wir überfordern unsere Beziehungen durch zu hohe Erwartungen. Eheberater berichten, wie verfahren oft die Situationen in einer Ehe sind, so dass als Ausweg nur noch die Trennung übrig bleibt.

Frühere Zeiten haben in Familien- und Eheproblemen den hl. Eustachius angerufen. Sie haben offensichtlich in seiner Legende einen Weg erkannt, wie sie mit den Schwierigkeiten in Ehe und Familie umgehen können. Wenn wir die Bilder der Legende tiefenpsychologisch auslegen, kann uns vielleicht auch heute die Gestalt des Eustachius ein Bild für gelungene Beziehung sein. Zunächst ist Placidus Jäger. Er will den Hirsch mit seinem Pfeil erlegen. Pfeil ist Bild für die aggressive männliche Triebkraft, für eine Sexualität, mit der der Mann die Frau erobern, "erlegen" will. Der geistige und seelische Bereich in der Partnerbeziehung wird dabei nicht berücksichtigt. So eine einseitige Sexualität kann keine dauerhafte Beziehung ermöglichen.

Placidus wird von dem Hirsch belehrt, dass er letztlich Christus nachjagt, dass Christus das Ziel seiner Sehnsucht ist. Der Hirsch ist Bild für die Einheit von Leib und Geist. Und er ist Bild für Christus. Letztlich sehnen wir uns in unserer Sexualität nach Transzendenz, nach dem Numinosen. Und nur wenn unsere Sexualität offen ist für die Transzendenz, können wir sie menschlich angemessen und dauerhaft leben. Aber zunächst erfährt Eustachius das Gegenteil. Er verliert seinen ganzen Besitz, seinen Status, seine Heimat. Das Alte trägt nicht mehr. Er kann nicht mehr von außen leben. Er wird konfrontiert mit seiner inneren Armut und Nacktheit. Frau und Kinder werden ihm geraubt, die Frau von einem falschen und herrschsüchtigen Mann, die Kinder von Raubtieren, die für die Triebe stehen. Frau und Kinder sind immer ein Geschenk, dessen man sich nie sicher sein kann.

Selbst das Vertrauen auf Gott schützt Eustachius nicht vor dem Verlust von Frau und Kindern. Er muss erst den Weg der Trauer gehen, auf dem er mit sich selbst konfrontiert wird. 15 Jahre muss er seinen Weg allein gehen, einen Weg des Dienstes und der Armut. Dann erkennt ihn ein früherer Soldat an seiner Narbe. Das vergangene Leben drückt sich in dieser Narbe aus. Manche Wunden verheilen. Aber sie hinterlassen Narben. Eustachius, seine Frau und seine Kinder müssen erst jeder für sich ihren Weg gehen und sich neu finden. Dann gibt es auch wieder ein neues Miteinander. Sie brauchen auf ihrem inneren Weg erst die Distanz zur Familie, um sich selber und dann auf neue Weise die Familie zu finden. Als sie sich finden, erzählen sie sich ihre Geschichte. Indem jeder von sich erzählt, was er erlebt und durchgemacht hat, finden sie auf neue Weise zusammen. Jetzt geht es nicht mehr um Besitz und Ansehen, nicht mehr um die christliche Vorzeigefamilie, wie sie in manchen Pfarreien zu finden sind und die auch keine Garantie bieten, dass sie immer zusammenhalten.

Nach all den schmerzlichen Erfahrungen ist die Familie des Eustachius geläutert. Jetzt ist sie fähig zu einem neuen Miteinander, zu einer neuen partnerschaftlichen Beziehung zwischen Mann und Frau, ohne den Schutz von Besitz und gutem Ruf. Jetzt kann sie auch die Kinder mit neuen Augen sehen, die in diesen 15 Jahren erwachsen geworden sind. Jetzt sind sie fähig, für etwas Größeres Zeugnis abzulegen, sich vor dem Kaiser zu Christus zu bekennen. Sie kreisen nicht mehr um sich. Es ist ihnen nicht mehr wichtig, dass sie sich miteinander wohl fühlen, sondern sie stellen sich gemeinsam in den Dienst Christi und bezeugen - jeder für sich und doch auch gemeinsam - , dass Christus die Mitte ihres Lebens ist. Die wilden Tiere neigen sich vor ihnen aus Ehrfurcht davor, dass sie ihre Triebe integriert haben. Auch der Stierofen, in dem sie verbrannt werden, kann ihre wahre Gestalt nicht zerstören. Sie bleiben selbst im Tod noch unversehrt, in ihrer reinen Gestalt. Das ist ein schönes Bild menschlicher Selbstwerdung und gelungener Beziehung. Geläutert durch das letzte Feuer des Martyriums bleiben sie auch im Tod noch vereint, jeder in seiner ureigensten und unverbogenen Gestalt. Die Meditation der Eustachiuslegende kann so einen Weg zeigen, mit den eigenen Beziehungskonflikten und mit der Familiensituation so umzugehen, dass Verwandlung und Heilung möglich ist, dass jeder ganz er selbst bleibt und dass all die schmerzlichen Erfahrungen etwas Neues und Echtes hervorbringen können.

Quelle: Anselm Grün
Die 14 Nothelfer als Bilder einer christlichen Therapie
VIER-TÜRME-VERLAG MÜNSTERSCHWARZACH
ISBN 3-87868-596-3


Inhalt

hl. 14 Nothelfer

Stift Ardagger