DER HEILIGE ERASMUS

Den Affektstau lösen

 

Nach der Überlieferung stammt Erasmus aus Asien und war Bischof von Antiochia. Sein Name "Erasimos" heißt liebenswürdig, begehrenswert. Er starb als Märtyrer um das Jahr 300 unter Kaiser Diokletian. Sein Fest wird am 2. Juni gefeiert. Er wird dargestellt mit Mitra, Bischofsstab und Ankerwinde. Die Winde hält er meistens in der Hand. Um sie sind seine Eingeweide herumgewickelt. Manchmal wird er auch dargestellt mit Pfriemen und Nägeln, die unter die Fingernägel des Heiligen getrieben sind. Erasmus wird angerufen bei Bauchweh und Unterleibskrankheiten und gilt als Patron für Seeleute, Drechsler und Schuhmacher. In Estenfeld hält Erasmus die Winde mit der linken Hand vor sich.

erasmus.jpg (23915 Byte)

 

Viele Legenden ranken sich um die Gestalt des hl. Erasmus. Nach der am weitesten verbreiteten Legende lebte er sieben Jahre einsam im Libanongebirge und hatte vertrauten Umgang mit den Tieren. Als sein Versteck entdeckt wurde, wurde er vor den Richter geführt. Doch alle Martern konnten ihm nichts anhaben. Er blieb unverletzt. Ein Engel geleitete ihn aus dem Gefängnis und brachte ihn in das Gebiet des heutigen Jugoslawien. Dort verkündete er das Evangelium und vollbrachte viele Wunder. Dann wurde er wieder ins Gefängnis gebracht und in einen Kessel voll siedenden Öls geworfen. Doch ein Engel errettete ihn daraus und führte ihn ans Meer. Dort nahm ihn ein Schiff auf und brachte ihn in die Stadt Gaeta in Kampanien. Dort starb er im Jahre 303 den Märtyrertod. Erasmus gilt als Patron der Seefahrer. Aber er wird auch angerufen bei Krankheiten der Tiere, bei Bauchweh und Unterleibskrankheiten. Die Winde, die er in den Händen hält, ist durch eine Legende bedingt, die erzählt, dass man ihm bei seinem Martyrium mit einer Winde die Eingeweide aus dem Leib herausgezogen hätte. Manche Erklärer meinen, die Winde sei ursprünglich eine Schiffswinde, die man im Festland aber nicht mehr so verstanden hätte. Doch vermutlich weist die Winde auf die Legende hin, die sich um sein Martyrium rankte.

Erasmus soll einmal mitten im Gewitter gepredigt haben. Überall schlugen Blitze ein. Nur der Heilige blieb unversehrt. Sturm, Blitz und Gewitter, das sind Bilder für unsere Daseinserfahrung. Oft genug haben wir das Gefühl, mitten im Sturm unserer aufgewühlten Emotionen zu stecken. Der Gegenwind bläst uns ins Gesicht. Unsere Lebensfahrt geht nicht mehr so glatt wie bisher. Wir haben Gegenwind. Alles hat sich gegen uns verschworen. Es gelingt uns nicht mehr alles. Menschen treten uns entgegen und hindern uns daran, unser Leben so zu leben, wie wir gerne möchten. Oder wir geraten ins Gewitter. Da prasseln die Aggressionen von allen Seiten auf uns ein. Wir wissen nicht, aus welcher Richtung sie kommen. Blitze von Hass zucken um uns herum. Wir können uns gar nicht in acht nehmen, weil sie unberechenbar um uns herum aufblitzen. In solchen Situationen kann uns das Bild des hl. Erasmus helfen, unser Vertrauen auf Gott zu setzen. Gott wird uns mitten in den Stürmen sicher durch das Leben geleiten. Der Blitz feindlicher Aggressionen wird uns nicht vernichten, wenn Gott seine schützende Hand über uns hält. Blitz und Donner sind im Traum oft Bilder für einen Affektstau und für körperliche und seelische Spannungen, die nach Entladung drängen. Von daher ist verständlich, dass Erasmus bei Magen- und Darmkrankheiten, bei Bauchweh und Unterleibskrankheiten angerufen wird. Denn da geht es auch um Affektstau, um krankhaften und gesunden Umgang mit Aggressionen.

Aber vor allem wird das Bild der Winde, mit der man die Gedärme des Heiligen herausgedreht hat, dazu geführt haben, Erasmus vor allem als Nothelfer bei Magen- und Darmkrankheiten zu sehen. Der Magenbereich zeigt uns, wie wir mit Aggressionen umgehen. Wenn wir den Ärger zu sehr herunterschlucken, bekommen wir Magengeschwüre. Wir zerfleischen uns im wahrsten Sinn des Wortes selbst. Wer mit seinem Ärger nicht gut umgehen kann, der sagt, er sei sauer. Bei ihm kann der Magen den Ärger nicht verwandeln. Säure bildet sich und stößt auf. Und es bleibt zuviel Unverdautes in unserm Magen liegen, manchmal wie ein schwerer Stein, der uns niederdrückt. Manche Menschen reagieren bei Spannungen sehr stark mit dem Magen. Sie können nicht mehr essen. Sie bekommen "einen nervösen Magen". Magenprobleme zeigen oft Beziehungsprobleme an.

Jugendliche erzählen mir, dass sie wohl am intensivsten die Spannungen in ihrer Familie beim Essen wahrnehmen. Sie spüren die Aggressionen zwischen den Eltern in ihrem Magen. Sie können die Spannungen nicht aushalten. Ihnen verschlägt es den Appetit. Sie können nichts mehr essen, nichts mehr verdauen. Magenprobleme bedeuten daher oft, dass ich mich nicht abgrenzen kann gegenüber den Spannungen meiner Umgebung. Ich nehme alles in mich auf.

Darmprobleme, Durchfall oder Verstopfung, zeigen, wie wir mit dem umgehen, was wir in uns aufnehmen. Durchfall weist meistens auf die Angst hin, die wir vor etwas haben. Wir nehmen es nicht auf, sondern lassen es gleich durchlaufen. Verstopfung dagegen ist Ausdruck, dass wir zuviel an Äußerem festhalten und es nicht loslassen können. Darmentzündungen weisen oft auf Menschen hin, die sich nicht abgrenzen können, die zu wenig ihr eigenes Leben verwirklichen. Bei chronischen Darmentzündungen sieht die Psychosomatik häufig psychische Ursachen, die Tendenz, sich anzupassen, es allen recht machen zu wollen, die Angst vor Konflikten und die Unfähigkeit, sich zu behaupten und Aggressionen in positiver Weise zu zeigen. In all diesen Nöten wird Erasmus angerufen.

Die Legende, dass man dem Erasmus mit der Winde die Därme herausgedreht habe, zeigt einen Weg an, wie wir vor Gott mit unseren Magen- und Darmproblemen umgehen sollen. Ich muss das, was in mir ist, nach außen kehren. Ich muss es anschauen, was da unverdaut in mir liegt, was ich da in mich hineingefressen habe, was ich festhalte und nicht hergeben will. Ich muss die Aggressionen herauslassen, anstatt sie in mich hineinzufressen. Ich muss den Affektstau lösen, damit ich wieder richtig verdauen kann.

Aber die Aggressionen sollen nicht einfach explodieren. Denn dann gibt es nur Scherben. Sie müssen eine nach der andern herausgelassen werden, gerichtet und klar. Dann ermöglichen sie mir das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz. Dann zeigen sie mir, wo ich mich abgrenzen und wo ich mich einlassen soll. Der hl. Erasmus wird im Gebet angerufen, dass er uns bei Bauchweh und Darmkrankheiten helfen möge. Im Gebet sollen wir das, was in uns ist, Gott hinhalten. Dann kann sich etwas klären und die Schmerzen können sich wandeln. Auf den Bildern wird Erasmus immer sehr selbstbewusst dargestellt. Weil er in sich ruht, deshalb hat er es nicht nötig, alles in sich hineinzufressen. Weil er in sich selbst steht, kann er sich gegen das wehren, was von andern Menschen an ihn herantritt. Er bleibt auch unberührt von Blitzen und Donnerschlägen, die von außen auf ihn einstürmen. Die Aggressionen der andern prallen an ihm ab. Er kann sich gegen sie schützen. Er kann mit seinen eigenen Aggressionen gut umgehen. So können ihm die Aggressionen der andern nicht schaden. So bleibt er verschont vor Magen- und Darmkrankheit.

Quelle: Anselm Grün

Die 14 Nothelfer als Bilder einer christlichen Therapie

VIER-TÜRME-VERLAG MÜNSTERSCHWARZACH

ISBN 3-87868-596-3

 

Inhalt

hl. 14 Nothelfer

Stift Ardagger