Heimatkundliche Beilage im Jahre 1993

Flachsverarbeitung

Vom »Hoar« zum Leinen

(Johann Hintermayr)

Sitzbrechl

Schon in der Völkerwanderungszeit soll es bei uns in Niederösterreich den Flachsanbau gegeben haben. Diese Annahme bezieht sich auf die damalige Gewandung aus Leinen für Männer und Frauen, die auf eine bodenständige Flachskultur hinweist. Dadurch hatte gerade dieser Wirtschaftszweig in den Jahrhunderten der Naturalwirtschaft eine große Bedeutung und so zählte das Leinen zu den wichtigsten Textilien.

Noch um die Jahrhundertwende baute bei uns im Mostviertel jeder Bauer eine kleine Fläche Flachs an. Um »Georgi« (24. April) säten die Männer, bei kleineren Wirtschaften auch die Frauen, den Leinsamen in einen gut vorbereiteten Acker. Der Flachs ist eine einjährige Faser- und Ölpflanze mit lichtgrünen Blättern und zarten, himmelblauen Blüten. Die Fruchtkapseln sind mit leinölhältigen Samen gefüllt.

Die Ernte setzte im Hochsommer - ungefähr drei Monate nach der Aussaat - ein. Diese Arbeit war dem weiblichen Personal vorbehalten. Mit den Händen fasste man mehrere Flachshalme (»Hoarfangen«) zusammen, zog sie samt der Wurzel aus dem Ackerboden und legte sie vorläufig schichtenweise in Bündeln zur Seite. Noch am selben Tag wurde der Flachs zu »Mandeln« gestellt oder kreuz und quer aufgehüfelt.

Nach dem Einführen des auf dem Felde getrockneten Flachses wurden die Samenkapseln oder »Bollen« entfernt. Hiezu bediente man sich eiserner, langspitziger Kämme (Hoarriffeln). Durch vorsichtiges händisches Ausschlagen der Bollen lösten sich die Körner aus ihren Schalen. Der Samen (»Linsad«) wurde im Haus als Heilund Nahrungsmittel benötigt.

Die In der Bastschicht der Pflanze gebundenen Fasern mussten nun gelöst werden. Dies geschieht durch das Rotzen, Dörren und Brecheln. Die Flachsstengel, auch Flachsstroh genannt) wurden im Freien auf einer Wiese einige Zeit hindurch ausgebreitet.

Durch die nächtliche Bodenfeuchte, durch Regen - gebündelt legte man die Stengel auch für einige Zeit in einen Wassertümpel - wurden die holzigen Stengel »geretzt« und dadurch »moarb« (mürbe, fein). Danach folgte das »Hoar-Mandln«, das Aufhäufeln des geretzten Hoar, damit er durch Wind und Sonne trocknet.  In späterer Folge wurde der Flachs in der Brechlhütte bzw. im Dörrofen (Dörrhausl) gedörrt und gebrechelt. Mit einer scherenförmigen Brechel wurde dabei der Stengel aufgefasert. Zur Bewältigung größerer Flachsmengen war der Flachsrolltisch (»Hoarrolln«) sehr geeignet. Das Vorbrecheln war in der Regel Männerarbeit.

Zur vollständigen Entfernung der Holzteile ist noch das »Schwingen« des Flachses notwendig. Dies geschah mittels eines Schwingrades (Schwingbock, auch »Flachtn« genannt). Um die leinen Reistenfasern vom Werg (»Werch«) zu trennen) wurden die gebrechelten Flachsstengel durch vielspitzige Eisenbürsten, die sogenannten »Hoarhacheln«, gezogen. Diesen Vorgang nennt man »hecheln«/»hacheln:. Der so gewonnene »Hoar« konnte nun gesponnen und zu Leinen (»Laiwaund«) verarbeitet werden. Durch die Baumwolle hat der Flachs in unserer Zeit seine Bedeutung als Faserpflanze verloren.

Die vielen Arbeitsvorgänge der Flachsverarbeitung beschreibt sehr deutlich ein Bauernspruch: "Der Hoar muaß zwölfmal in d'Hand genumma wern«.

(Aus: Mostviertel und sein Museum in Haag, 1978)

 

Schwingbock / »Flachtn«

 Foto: Cisar, Haag