DIE HEILIGE MARGARETE

Die Integration des Schattens

Margarete bedeutet eigentlich "Perle". Die Legenda aurea leitet ihren Namen von einem Edelstein ab, der Margarita genannt wird.

"Dieser Stein ist weiß und klein und voll Kräfte. Also war Sanct Margareta weiß durch ihre jungfräuliche Reinheit; klein durch ihre Demut; voll Kräfte durch die Wunder, die sie wirkte. Die Kraft des Steines, sagt man, sei gut den Fluß des Blutes zustillen; das Leiden des Herzens zu heilen; und den Geist zu stärken."

(Legenda aurea 463) Margarete ist das Bild des Menschen, der die kostbare Perle gefunden hat, denn Berührung ist mit dem unverfälschten Bild, das Gott sich von ihr gemacht hat. Ihre Geschichte zeigt, wie auch unser Weg der Selbstwerdung gelingen kann. Margarete wurde um 307 enthauptet. Ihr Fest ist am 20. Juli. Dargestellt wird sie mit Stabkreuz und einem Drachen zu ihren Füßen. Manchmal stößt sie dem Drachen das Stabkreuz in den Rachen. Manchmal hält sie den Drachen an einem Strick angebunden. In Estenfeld trägt Margarete eine Krone und hält den Drachen an einem Strick. Mit der rechten Hand macht sie eine weit ausladende Geste, Zeichen der inneren Freiheit und Weite.

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Margarete war die Tochter eines heidnischen Priesters in Antiochia. Nach dem frühen Tod der Mutter wurde sie von einer christlichen Amme erzogen. So wurde sie selbst Christin. Als sie herangewachsen war, bekannte sie ihrem Vater gegenüber, dass sie an Christus glaube. Vor dem Wüten des Vaters flieht sie zu ihrer Amme und hütet dort die Schafe. Als der Präfekt Olybrius vorbeiritt, war er von ihrer Schönheit hingerissen und begehrte sie zur Frau. Sie weigert sich und bekennt sich zu Christus. Der Präfekt lässt sie ins Gefängnis werfen und brutal foltern. Mit eisernen Kämmen riss man ihr das Fleisch vom Leib. Aber in der Nacht kamen Engel und heilten ihre Wunden, so dass sie noch schöner und blühender wurde als zuvor. Als sie in der Nacht von Angst und Schmerzen gepeinigt wurde, erschien vor ihr ein greulicher Drache und wollte sich auf sie stürzen. Sie schlug das Zeichen des Kreuzes über das Untier. "Dann packte sie es mutig und warf es zur Erde nieder und setzte den Fuß auf seinen Scheitel. Der Teufel in der Gestalt des Drachens aber schrie laut: "Weh mir, nun bin ich von einer schwachen Jungfrau überwunden worden" - und verschwand alsbald. Und mit einem Mal wurde ihr Gefängnis von einem wunderbaren Licht durchstrahlt, das gab ihr himmlische Kraft und sie war getrost." (Melchers 447)

Nach neuen Qualen, die ihr der Präfekt zufügte, wurde sie schließlich enthauptet. Vor ihrem Tod kniete sie nieder und betete zu Gott für alle, die sie in ihren Nöten anrufen würden. Wenn Margarete dargestellt wird, wie sie einen Drachen am Band spazieren führt oder gar auf ihm reitet, dann ist das durch die Legende nicht gedeckt. Die Kunst hat die Legende weiter ausgedeutet. Sie hat in diesem Bild einen anderen Weg der Schattenbewältigung dargestellt als beim hl. Georg. Der Schatten wird nicht getötet, sondern integriert. Er wird gezähmt. Auf diese Weise dient er der Heiligen. Sie kann auf ihm reiten. Sie bekommt einen größeren Horizont.

Sie erhält durch ihn neue Kraft. Der Schatten wird für sie zu einer Quelle neuer Energie. Das ist ein schönes Bild für die menschliche Selbstwerdung. Es gibt das Dunkle, das wir aus uns herauswerfen und töten müssen. Es gibt aber auch den Schatten, mit dem wir uns anfreunden sollten. Wir müssen uns anfreunden mit der verdrängten Aggression. Dann dient sie uns dazu, uns besser abzugrenzen und für uns zu sorgen.

Wir müssen uns aussöhnen mit der verdrängten Sexualität. Dann wird sie für uns zu einer Quelle der Fruchtbarkeit und Lebendigkeit. Der Schatten entsteht dadurch, dass wir einen Pol unseres Lebens vernachlässigen, entweder aus Angst, weil er unserem Idealbild nicht entspricht, oder einfach, weil wir von dem andern Pol so fasziniert sind, etwa vom Pol unseres Verstandes oder unseres Willens. Jeder von uns hat einen Schatten, weil wir nie immer alles zugleich leben können. Aber spätestens in der Lebensmitte ist es unsere Aufgabe, den Schatten zu integrieren, das bisher vom Leben Ausgeschlossene anzuschauen und ihm angemessen Rechnung zu tragen. Die Integration des Schattens bereichert uns, befreit uns vor Einseitigkeit und führt uns zur Ganzheit. Sie macht uns so gelassen und frei, wie es die Figur der hl. Margarete in Estenfeld darstellt. Denn wir brauchen unsere Energie nicht mehr dazu, um das Verdrängte unter Verschluss zu halten und den Schatten vor andern zu verbergen. C.G. Jung nennt den Schatten auch das persönliche Unbewusste. Dem setzt er das kollektive Unbewusste gegenüber, in dem Bilder und Symbole der Menschheitsgeschichte gespeichert sind. Hier gibt es auch gefährliche Bereiche, dämonische Bilder, vor denen man sich schützen muss. Da bedarf es der Georgskraft in uns, um diesen Drachen zu töten.

Margarete wird vor allem von gebärenden Müttern angerufen, die sie um eine glückliche Entbindung bitten. Auch gegen Unfruchtbarkeit wird sie angefleht. Frauen haben sich offensichtlich von Margarete verstanden gefühlt. Und sie haben sie gebeten, ihnen zu helfen, ihr Frausein zu bejahen. Unfruchtbarkeit ist ja manchmal durch die Angst bedingt, die Kontrolle über sich zu verlieren. Wer all seine Lebensäußerungen kontrollieren möchte, der tut sich auch schwer, sich in der Sexualität völlig loszulassen und die Kontrolle aufzugeben. Auch bei der Geburt geht es darum, das Kind loszulassen und es herzugeben. Frauen haben Margarete angerufen und sie gebeten, ihnen zu helfen, ihr Vertrauen auf Gott zu setzen und in diesem Vertrauen sich hinzugeben und loszulassen. Die Verehrung der hl. Margarete war für sie der Ort, an dem sie ihre Sehnsüchte und Ängste als Frauen vor Gott bringen konnten und sich von Gott verstanden fühlten. In Margarete sehen sie sich selbst dargestellt. Und indem sie sie anschauen, fühlen sie sich geschützt vor aller männlichen Gewalt, die der Heiligen nichts anhaben kann. Männer können sie noch so brutal foltern und verletzen, in der Nacht kommen immer wieder die Engel und heilen ihre Wunden, so dass sie schöner aussieht als zuvor.

Das Thema der sexuellen Gewalt und Vergewaltigung ist heute ja neu ins Bewusstsein gehoben worden. Es gibt sowohl in der Ehe wie außerhalb oft körperliche und psychische Gewalt. Da reißen brutale Männer der Frau wirklich das Fleisch vom Leib, wie es in der Legende der hl. Margarete erzählt wird. Aber sie können ihr nichts anhaben. Denn die Engel stellen sie nachts wieder her und geben ihr ihre unantastbare Würde und Schönheit wieder. Trotz aller innerer und äußerer Verletzungen bleibt Margarete in ihrem Kern unverletzt. Das hat seit jeher Frauen fasziniert und sie schöpften in der Verehrung der hl. Margarete Hoffnung, dass auch sie mit ihrem unverletzten Kern in Berührung kommen und mit den Engeln, die sie der Macht brutaler Männer entreißen und ihre Wunden heilen.

Männer können sie weder physisch noch psychisch so verletzen, dass sie ihnen ihre Würde rauben können. Auch wenn Entwertungen sie tief ins Herz treffen, so wissen sie doch, dass es in ihnen einen Raum gibt, in dem sie kein Wort, keine Verachtung, keine Beschimpfung verletzen kann, einen Ort in mir, an dem ich unverletzt bleibe, an dem meine Würde unantastbar ist.

Nach der Legende bat Margarete in ihrer Sterbestunde, dass alle Mütter, die sie um Hilfe bäten, von Gott her Beistand fänden. Die Integration des Schattens und die Geburt des Kindes scheinen auf den ersten Blick zwei verschiedene Aspekte der hl. Margarete zu sein. Aber in Wirklichkeit gehören beide Aspekte zusammen.

Die Integration des Dunklen in uns führt oft zu einer Erneuerung unseres Lebens, gleichsam zu einer Neugeburt. Der Drachen hindert uns nicht mehr am Leben, sondern er dient dem inneren Kind, dem unverfälschten Bild Gottes in uns, damit es sich in alles einbilden kann, was in uns ist. Die Geschichte der hl. Margarete zeigt, dass sie ihre Perle gefunden hat, dass sie das ursprüngliche Bild Gottes in seiner Reinheit dargestellt hat. Es war für sie nicht einfach. Sie musste sich gegen den Vater durchsetzen, der sie von ihrem Weg abhalten wollte. Sie musste sich gegen den Präfekten Olybrius abgrenzen, der sie leidenschaftlich zur Frau begehrte. Sie musste durch zahlreiche Folterungen gehen. Aber sie wusste Gottes Engel um sich, die ihre Wunden immer wieder heilten. Die Landfrauen haben in Margarete ihre Patronin gesehen. Das hat nicht nur in der Legende ihren Grund, die erzählt, dass Margarete aufs Land geflohen sei und dort Schafe gehütet habe. Margarete als Patronin des Nährstandes ist das Symbol der nährenden Frau geworden, nicht nur der Frau, die als Bäuerin für die äußere Nahrung sorgt, sondern auch der mütterlichen Frau, die für ihre Kinder und für viele andere Quelle von Nahrung und Inspiration ist. In ihr leuchtet uns Gott auf, der für uns sorgt, der unsern Leib und unsere Seele nährt.

Quelle: Anselm Grün
Die 14 Nothelfer als Bilder einer christlichen Therapie
VIER-TÜRME-VERLAG MÜNSTERSCHWARZACH
ISBN 3-87868-596-3


Inhalt

hl. 14 Nothelfer

Stift Ardagger